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13 Mitteilungen aus China

Seit Stefans legendärem ersten Bericht aus Qiqihar am 13. November 2000 sind schon viele Mitteilungen versendet worden. Lest hier die mit netten, anklickbaren Bildern versehene Version davon.

Liebe Freunde!

Bin ich Euch schon abgegangen? Aha... nicht? Trotzdem versuchte ich gestern Abend, hier meine Mailbox in Betrieb zu nehmen, mit drei Resultaten: Meine Kollegen hatten erstens einen Mordsspass, zweitens gab es Anlass zu Aeusserungen wie "Habts ihr gewusst, dass der so ein Grantscherm sein kann?" und das dritte Resultat habt Ihr vor Euch. Na, ist es nicht huebsch, dieses e-mail? Ich verwende meine alte Adresse weiter, nur auf grosse Attachments muss ich verzichten, wenn sie nicht wichtig sind. So, das waer das Wichtigste. Tschuess, Euer Stefan.




Nun, vielleicht erwaehne ich auch noch ein paar weniger interessante Kleinigkeiten. Wer wirklich nichts Besseres zu tun hat, moege halt weiterlesen:

DREIZEHN MITTEILUNGEN AUS CHINA



Erste Mitteilung

In der an der an der Klugheit vierer Zivildiener gezweifelt wird.


"Die Punschsaison kannst da heuer aufzeichnen!" "Du kriegst nur noch Reis zu essen!" "Spinnst du?"
Trotz aller Gegenargumente reisten Andreas Ipp, Knut Wimberger, Florian Zemanek und ich am 30. September ab nach China. Wie wir auf diese Idee kamen, erfahrt Ihr unter www.sozialdienst.at (unter "Laenderpages" auf "China" klicken). 14 Monate soll unser Aufenthalt dauern: Genau genommen versaeumen wir sogar 1,5 Punschsaisonen. Ob es das wert ist? Lest unsere "Mitteilungen aus China"! Ihr habt sie alle abonniert, wozu ich ganz herzlich gratuliere!

Zweite Mitteilung

In der sich Parteisekretaer Qi ueber vier Oesterreicher und eine lila Kuh wundert.


Der erste, den wir in Peking sahen, war Arnold Schwarzenegger. Von einem grossen Plakat herunter wirbt er fuer Handys. Darunter sahen wir ein etwas kleineres, aber umso erfreulicheres Plakat mit unseren vier Namen. Und wieder darunter - nun war es zum marmorbefliesten Flughafenboden nicht mehr weit - sahen wir Herrn Guo. Herr Guo ist Englischprofessor und arbeitet am Foreign Affairs Office der Universitaet Qiqihar, etwa 1300 km noerdlich von Peking. Die naechsten vier Tage sollte er uns auf Trab halten, und, wie sich herausstellen sollte, wahrscheinlich auch die naechsten 14 Monate...
Am Beginn der Tagesordnung stand eine Stadtfuehrung, die in erster Linie einer Fuehrung durch Restaurants gleichkam. In China hat das Essen einen ganz anderen Stellenwert als bei uns, und wer hierher kommt, weiss, warum: Wir bekamen Dutzende Gerichte aufgetischt, kosteten voellig neue Geschmaecker, im Minutentakt wurden volle Teller heran- und halbleere weggetragen, Tee wurde auf vergnuegliche Art aus meterlangen Schnabelkannen nachgegossen, lebendige Fische und gebratene Pekingenten erst begutachtet und dann verspeist. Nur das Vertrauen in die Groesse des Landes laesst uns hoffen, das sich die Fauna Chinas in absehbarer Zeit erholt. Und nur ein einziges Mal gelang es uns, die Rechnung zu uebernehmen. Wer schon einmal in China war, weiss das aber als erste Leistung der oesterreichischen Zivildiener zu schaetzen.
Am Abend wurden wir drei Herren vorgestellt: Herrn Wang, Parteisekretaer Qi, und dem Vertreter der Stadtverwaltung Qiqihar in Peking (Dies geschah bei einem Essen, wir waren beim Chinesen.) Hier wurden wir zum ersten Mal auf die Probe gestellt: Herr Guo uebersetzte, und so wurden Reden geschwungen ueber die Freundschaft zwischen Oesterreich und China und ueber das Wohlergehen der beiden Laender und ihrer Bewohner, das es zu foerdern gaelte. Wir taten unser Bestes. Bei der Frage nach der oesterreichischen Landwirtschaft ueberraschte man uns mit Kenntnissen ueber oesterreichisch klingende Kuhrassen und deren Milchproduktion. Etwas in Verlegenheit erzaehlte ich von der lila Milkakuh. Als der erste Schreck ueberwunden war, versuchte ich zu erklaeren, sie sei selbstverstaendlich angemalt. Alles wurde sorgsam uebersetzt und mit Mienen aufgenommen, die wohl am ehesten mit sorgenvoll beschrieben werden.

Dritte Mitteilung

In der das oesterreichische Bundesheer vierer Zivildiener in Peking habhaft wird.


Am naechsten Tag kamen noch zwei Herren nach Peking: Rektor Chang der Universitaet Qiqihar und der Direktor der Hermann Gmeiner-Schule. Am Tag darauf wollten sie ihre erste Europareise antreten und auch nach Innsbruck zu SOS-Kinderdorf fahren. Die Gelegenheit benutzten wir, um alle in die oesterreichische Botschaft mitzunehmen, die uns zum Essen eingeladen hatte. Sogar der Botschafter schuettelte uns die Hand. Als uns der Militaerattache begruesste, gab es eine Ueberraschung: Mit "Sers Andi!" begruesste er Andreas Ipp, seinen langjaehrigen Nachbarn aus Brunn am Gebirge (Ortsteil Suedstadt). Er lud uns fuer die restlichen zwei Naechte in Peking zu sich nach Hause ein. Als wir zusagten, waren wir jedoch in eines der ohnehin zahlreich herumstehenden Fettnaepfchen gestiegen: Das Hotel, das Herr Guo ausgesucht hatte, zu verlassen, war schon etwas unhoeflich. Eine Botschaftsmitarbeiterin (Die entzueckende Frau Mag. Feigl!) brach aber einfach fuer mehrere Minuten in fluessiges Chinesisch aus und fluesterte dann: "Das hab ich gekittet." So zogen wir aus unserem Hotel in der Naehe der verbotenen Stadt ins Diplomatenviertel zu General Apfalter. Die Kopfpoelster: Heereseigentum. Die Matratzen: Heereseigentum. Die Tagwache: um 7:30. Das Fruehstueck: zubereitet von der Frau General.

Vierte Mitteilung

In der sich fuenf Oesterreicher einen Tag lang wie normale Touristen benehmen.


Drei Erkenntnisse standen am Anfang unseres dritten Tages in Peking. Erstens: Chinesisch lernen ist unbedingt notwendig. Zweitens: Das wird aber schwierig. Drittens: Josef Goldberger. Er ist Sinologiestudent und studiert ein Jahr lang in Peking. In zwei Jahren moechte er auch Zivildienst in Qiqihar machen. Er traf uns mit einem Rucksack voller Buecher und Kassetten: Chinese, Beginner's Course. Der erste Blick hinein laesst Schreckliches erahnen. Yi heisst eins und Hundert Millionen, yi heisst Tante und Sessel. Der Unterschied liegt nur in der Intonation. Chinesisch ist eigentlich drei Sprachen in einer: Die Schriftzeichen, die Tonlage, und die lateinische Umschrift Pinyin.
Das aber vorerst beiseite lassend, warfen wir uns ins Gedraeange Pekings, einer Stadt voller Gegensaetze. Manchmal ist sie wie ein Dorf, dann wie der Mittelpunkt der Welt, hier reich, dort bitterarm, hier organisiert, dort chaotisch, oft laut und - nein, leise kann man es sich nicht vorstellen. Aber auch das wird es wohl ab und zu sein.

Fuenfte Mitteilung

In der eine chinesische Institution getestet und fuer grossartig befunden wird.


Um 16:00 verliess Zug Nr. 47 Peking. Das bedeutet, dass es in ganz China nur 46 Zuege gibt, die schneller fahren. Am Bahnhof betrachteten wir den Schienenstrang vor unserem Zug: Von hier koennte man mit nur einmal Umsteigen nach Wien fahren. Den zwei nagelneuen, finstergruenen, leisebrummenden Diesellokomotiven unseres Zuges haette man so eine Reise ohne weiteres zugetraut. Vorerst aber sollten sie Nr. 47 in nur 16 Stunden nach Qiqihar schleudern. Aufgrund mangelnder Genauigkeit der Bahnhofsuhren mussten sie sich damit begnuegen, auf die Sekunde genau abzufahren.

Am Bahnhof hatte ich versucht, ein englischsprachiges Kursbuch zu erstehen. Laut einem Reisefuehrer gibt es das "in Hong Kong, und zeitweise auch in Peking am Hauptbahnhof". Nachdem ich an einigen Schaltern herumgedeutet hatte, und die Schlange von amuesierten Chinesen, die mir von einem Schalter zum naechsten folgten, immer laenger geworden war, gab ich auf und kaufte ein chinesisches. Es mag ja Leute geben, die sich schwertun, oesterreichische Fahrplaene zu lesen. Denen sei zum Trost gesagt: Dieses Kursbuch ist sogar fuer einen Eisenbahnfreak wie mich eine Herausforderung.

Herr Guo hatte uns ein Vierbettabteil reserviert, die komfortabelste Klasse. Eine rosa Nelke stand am Fenster. Tee stand bereit. "Welcome to our train", sagte jemand in Uniform. Anhand der Kilometersteine, die vor dem Fenster vorbeihuschten, versuchte ich festzustellen, wo wir waren, bis es mir zu muehsam wurde und ich mich mit dem Wissen begnuegte, in China zu sein. Und wisst ihr was? Hier kann man sogar im Zug chinesisch essen. Das sollte bei den OeBB einmal jemand vorschlagen.
Da ich meine Uhr bei der Zeitumstellung im Flugzeug nicht sehr sorgfaeltig eingestellt hatte, richtete ich sie in der Frueh nach der Ankunftszeit des Zuges. 

Sechste Mitteilung

In der wir eine sehr angenehme Ueberraschung erleben.


Am Vortag in Peking war es noch sehr warm gewesen, aber hier in Qiqihar war es kuehl. Mit einem Kleinbus wurden wir in unsere Unterkunft gebracht. Nun wuerde es sich entscheiden, wie wir die naechsten 14 Monate zubringen sollten: Womoeglich sehr bescheiden und zusammengepfercht?
Die Befuerchtungen sollten sich nicht bestaetigen. Jeder von uns bekam ein eigenes, grosses Zimmer mit Bad, neuen Moebeln, Fernseher und Telefon. Spaeter erfuhren wir, dass im ganzen Haus die schoensten Moebel fuer uns zusammengetragen worden waren. Das Haus ist recht neu. Es gibt fast immer Strom und Wasser, und von 20:30 bis 21:30 gibt es sogar warmes Wasser. Im Erdgeschoss wird gekocht, und wir essen oft dort. Im ersten und zweiten Stock sind oft chinesische Lehrer zu sehen, die dort wohl Bueros und Tagungszimmer haben. Im dritten Stock wohnen auslaendische Lehrer. Im vierten Stock wohnen russische Studenten und im fuenften Stock koreanische. Im dritten Stock wohnen jetzt vier Oesterreicher und ein Kalifornier namens John. Was er hier macht? Liebt er China? Nein. "China is more like a bad habit" sagt er. Plaene fuer die Zukunft macht er keine, aber China wird ihn vielleicht nie mehr loslassen.
Englisch spricht fast niemand, abgesehen von John und einer Russin. Unlaengst plauderte ich mit einem Koreaner: Ich sprach Englisch zu jener Russin, die uebersetzte auf Russisch und sprach zu einer anderen Russin, die auf chinesisch uebersetzte. Der Koreaner verstand chinesisch. Wenn ich heimkomme, gnade Euch Gott, wenn jemand gegen mich Activity spielen moechte! Die Russen sind alle sehr nett. Sie trinken Wodka und geben auch was davon ab, sie singen immer die gleichen, melancholischen Lieder, was durchaus unterhaltsam sein kann, solange Andreas nicht mitsingt. Zumindest jene Russen, die ueber mir wohnen, ruecken gerne Moebel. Aber irgendwann muss auch dieses Zimmer fertig eingerichtet sein.

Siebente Mitteilung

In dem fuer vier neue Englischlehrer und einige hundert Studenten der Ernst des Lebens beginnt.


Der erste Arbeitstag rueckte naeher. Es war wie ein Fragezeichen, das immer groesser wurde, bis es eines Montags in der Frueh nicht mehr zu uebersehen war. Wie wuerde es sein? Anfangs ein Didaktikseminar? Treffen mit anderen Englischlehrern? Besprechen des Lehrplans? Zu Beginn arbeiten in Kleingruppen?
Montag, 8 Uhr frueh. Die Tuer hinter mir war zu, was sie unueberhoerbar kundgetan hatte. Herr Guo hatte mich gerade in einen Raum geschubst. Hier roch es nach Kreide. Licht fiel ums Eck herein und auf ein Lehrerpult, das mir in der Schule Furcht eingefloesst haette. Als ich mich in dem Raum etwas umsah, zaehlte ich 64 aufgerissene Augen und 32 zum Grossteil ebensolche Muender.
"Guten Morgen! Ich bin Euer neuer Englischlehrer!" hoerte ich jemanden sagen.

Achte Mitteilung

In der jemand beinahe erstickt, obwohl niemand weiss, warum.


Ob es nicht Chinesischkurse gaebe, in die wir uns in unserer Freizeit setzen koennten, fragten wir Herrn Guo. Das Resultat unserer bescheidenen Anfrage? Wir vier Oesterreicher bekommen gemeinsam mit zwei russischen Studentinnen drei Chinesischstunden jeden Tag und absolvieren so das normale Programm des ersten Studienjahres. Wir haben drei Lehrerinnen: fuer Schreiben, fuer Lesen und fuer Sprechen. Sie sind alle sehr nett, auch wenn die Stunden selbst natuerlich selten erholsam sind. Nicht dass es nicht lustig waere: Unlaengst las ich in der Stunde etwas Chinesisches vor. Nicht unzufrieden schaute ich vom Text auf: "Das hab ich aber gut hingekriegt", dachte ich dabei. Einen Sekundenbruchteil sah ich es in den Augen der Lehrerin verraeterisch funkeln. In den darauf folgenden zwei Minuten waere sie fast erstickt, so musste sie lachen. Ueberhaupt wird in den Chinesischstunden viel gelacht. Ich glaube, es liegt einfach an der Sprache. Man staune, dass es ein Wort gibt, das schwarz bedeutet, wenn es sich um Kleidung handelt, gruen bei Aepfeln und bei Gras im April, und blau in Gemaelden, wobei es allerdings eher vom Kuenstler als vom Betrachter verwendet werden wuerde. An "einer Schuessel Reis" schreibe ich wohl mehrere Minuten, exklusive Nachdenken. Man muss diese Sprache einfach gern haben.

Neunte Mitteilung

In der sich der Verfasser erlaubt, zur Abwechslung ein wenig zu jammern.


Der Stundenplan der ersten Woche hatte es gleich in sich: 16 Stunden Englischunterricht in vier Klassen, die laut Herrn Guo aus "25 Schuelern, oder ein paar weniger, oder ein paar mehr" bestanden. In Wirklichkeit sassen aber 32-65 Schueler in einer Klasse. Jede der 16 Stunden will natuerlich vorbereitet sein, und je unerfahrener der Lehrer, desto mehr muss er vorbereiten. Gemeinsam mit unseren Chinesischstunden, in denen wir auch Hausaufgaben bekommen, bleibt kaum noch Zeit zum Verschnaufen. Oft kommen auch Studenten zu Besuch, die englisch plaudern wollen. Praktisch jede Woche erscheint eine Delegation aus irgendeiner Mittelschule und bittet uns, doch auch in der jeweiligen Schule zu unterrichten. Diese Bitten werden gewoehnlich mit einer Einladung zu einem Festmahl unterstrichen. Eine schlaue Taktik: Nach ein paar Glaesern von so genanntem "weissem Alkohol" und koestlichen Speisen ist man versoehnlich gestimmt. Seit letzter Woche habe ich wieder eine neue Klasse mit 60 Schuelern, in der einige kein Wort Englisch sprechen, andere hingegen beinahe fluessig. In zwei Wochen ist ein Vortrag ueber Oesterreich in einer anderen Schule faellig, der am Sonntag vormittag drei mal fuer jeweils 230 Personen gehalten werden soll. Ich bin ueberarbeitet!
Ihr wundert Euch, dass wir hier diese Arbeit machen, obwohl wir in Oesterreich niemals dafuer qualifiziert waeren? Als Antwort reicht das Zitat einer Schuelerin. Ich fragte sie, was sie in der Stunde gemacht hatte, bevor ich kam. Sie sagte: Nichts. Wir hatten keine Lehrer. Noch etwas: Manche der Englischlehrer hier sprechen wenig Englisch. Warum? Nun, deren Englischlehrer haben vielleicht auch kaum Englisch gesprochen. Kaum ein Englischlehrer hier war schon einmal in einem englischsprachigen Land. Wir Zivildiener hingegen gelten hier als "native English speakers".

Mittlerweile habe ich schon fuenf Wochen unterrichtet. Das Resume: Es ist manchmal sehr schwierig. Plaene fuer Stunden gehen manchmal nicht auf. Buecher gibt es nur fuer einige der Klassen, und die sind recht bescheiden. Aus dem Kapitel "Begruessungen": "...Sometimes when in a hurry, it is all right to touch the brim of the hat when passing by, rather than completely raising the hat." Mit solchem Stoff lassen sich keine interessanten Stunden machen. Ich arbeite hart, um Ideen fuer Stunden zu sammeln. Manchmal gelingt es: Einmal machte ich eine Stunde ueber Gedichte, und am Schluss hatte jeder ein selbstgeschriebenes Gedicht, einige davon waren sehr schoen. Manche Klassen sind einfach so lustig: Eine hat mich tatsaechlich dazu gebracht zwei Strophen von "Freude schoener Goetterfunken" zu singen, als ich ein mir gestelltes Raetsel nicht loesen konnte (das folgende: drei Schweine stehen hintereinander. Das erste sagt, hinter mir stehn zwei. Das zweite sagt, ich bin das mittlere. Das dritte sagt: Hinter mir stehn zwei, und vor mir stehn auch zwei. Wie ist das moeglich? Aufloesung am Schluss des e-mails!)
Fuer wohl die allermeisten Schueler bin ich der erste Auslaender, mit dem sie sprechen. Fuer manche ist das so aufregend, dass es Ihnen die Sprache verschlaegt. Fuer andere ist einfach alles interessant, was ich sage: wie Ihr Euch alle leicht vorstellen koennt, fuer mich recht ungewohnt. Schliesslich werde ich zu Hause alles andere als andauernd ernst genommen. Fuer andere Schueler wieder bin ich eine Art Zootier, an dem sie verschiedene Sachen ausprobieren: "Magst Du Mao Ze Dong? Was sagst Du zu Deng Xiao Ping? Glaubst du, Taiwan ist ein Teil von China? Glaubst du an Gott? Ich glaube an Karl Marx! Sollte es Redefreiheit geben?"...

Zehnte Mitteilung

In der wir uns einmal kraeftig selber loben.


Andreas Ipp und ich sind schon laenger befreundet. Sonst aber haben wir vier Zivildiener einander erst nicht allzu lange vor der Abreise getroffen. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team und jeder von uns - ein bisschen Eigenlob sei hier erlaubt, sei es in China auch noch so verpoent - ist auf seine Weise unentbehrlich. Andreas ist unser Referent fuer oesterreichische Musik und chinesisch-Musterstudent. Knut ist unser Problemloeser und Intellektueller und kann - gemeinsam mit seiner Enzyklopadie - praktisch alle Fragen beantworten. Florian ist bei den Schuelern der Populaerste und daher Beliebt- und Vergnuegtheitsreferent. Und ich selbst? Ich habe mich soeben selbst ernannt zum Redakteur der "Mitteilungen aus China". Ist das vielleicht nix? Wenn das so weitergeht, geht ohne uns bald ueberhaupt nichts mehr in der Provinz Heilongjiang...

Elfte Mitteilung

In der wahrscheinlich erfolglos versucht wird, zu beschreiben, wo wir hier eigentlich sind.


Qiqihar ist mit fuenf Millionen Einwohnern keine besonders grosse Stadt. Es fuehlt sich kleiner an als Wien. Es gibt einige Buslinien, ein Schwimmbad, einen Bahnhof, einen Park und vielleicht aehnlich viele China-Restaurants wie in Wien. Abgesehen davon ist aber praktisch alles hier anders als von zu Hause gewohnt. Waehrend ich mich zu Hause ueberall unbehelligt fortbewegen kann, errege ich hier durch mein Aussehen immer Aufmerksamkeit auf der Strasse. Kinder zeigen mich ihren Eltern, fremde Leute sprechen mich an. Einer der ersten Saetze, die ich lernte, war: "Ich bin kein Australier. Ich bin Oesterreicher." Diese zwei Laender klingen naemlich auch auf chinesisch aehnlich. Wien kennt hier jeder: Dass praktisch ganz China das Neujahrskonzert sieht, duerfte ueberraschenderweise doch kein Schmaeh vom ORF sein. Manchmal scheppert der Radetzkymarsch ueber eine der Strassen Qiqihars, von denen laengst nicht alle asphaltiert sind. Im Strassenverkehr faehrt man bei rot und dort wo Platz ist. Anfangs in der Stosszeit stand ich noch ratlos mit meinem neuen Fahrrad am Strassenrand. Jetzt stuerze ich mich einfach in den Strom und schwimme mit. Qiqihar ist zwar nicht schoen, aber oft interessant und aufregend.

Einmal machten wir einen Radausflug ueber die Stadtgrenze hinaus in die, ich glaube man nennt sie so, mandschurische Ebene. Das Land dort ist so flach, dass es dem Auge keinen Halt und dem Geist keine Ruhe bietet. Jedes Fahrzeug zieht eine Staubfahne hinter sich her. Der Wind spielt kurz mit ihr und zerstaeubt sie dann ueber dem trockenen Gras. Wie nebensaechlich strahlt die Sonne fahl ueber dem Horizont, als haette sie kein Interesse, diesen Flecken Erde zu beleuchten, der so gar nicht danach aussieht, als waere er fuer Menschen gemacht. Eine Handvoll Elstern laesst sich ab und zu von Windboen herumwerfen. 

Auf der Hauptstrasse, die in die innere Mongolei fuehrt, dann ein Reichtum, den man hier nicht erwartet haette. Auf Fahrraedern, dampfenden Mopeds und regelmaessig explodierenden Lastwaegen schaffen die Bauern ihre Produkte in die Stadt. Zu Dutzenden haengen schneeweisse Gaense ueber der schmutzigen Landschaft, pralle, leuchtende Feldfruechte tuermen sich auf Ladeflaechen. Es ist, als wuerde die Steppe ihre ganze Kraft zusammennehmen und der Melancholie zum Trotz zum Festgelage ruesten. Etwas beklommen stemme ich mich gegen den Wind und fahre zurueck in die Stadt.

Dort entdecken wir nach fuenf Wochen in China immer noch neue Speisen. Es gibt auch vieles, das bekannt scheint: Wiener Schnitzel, aber die Panier ist gschmackiger als zu Hause, Pommes mit einer Art Zimt drauf, heisses Coca Cola, Spaghetti. Das sind aber alles chinesische Gerichte. Obst und Gemuese schmecken prinzipiell besser als in Europa.

Zwoelfte Mitteilung

In der in loser Folge noch einige Fakten ueber China zusammengestellt werden, die total interessant sind.


- Chinesische Thermoskannen halten Wasser drei Tage lang praktisch kochend.
- Die Steckdosen hingegen sind so konstruiert, dass man die Stecker am besten mit Tixo daran festklebt.
- Klopapier wird mit Hologramm verkauft, wohl als Echtheitszertifikat.
- Reiche Chinesen fahren gerne Autos namens Ao Di.
- Fahrraeder duerfen kein Licht haben, da sie die Autos blenden koennten
- Mit dem Sessel in meinem Zimmer bin ich schon dreimal umgefallen (was am Sessel liegt).
- und schliesslich: Hier isst man nicht mit Messer und Gabel, sondern mit Staebchen!

Dreizehnte Mitteilung

In der sich der Autor gastfreundlich zeigt.


Briefe koennen an untenstehende Adresse geschickt werden und brauchen per Luftpost etwa 7-14 Tage. Bitte die Adresse in deutlichen Druckbuchstaben schreiben. Ein Anruf nach Oesterreich kostet mich ca. 50 Schilling pro Minute, und nachdem ich die Telefonwertkarte mit 100 Schilling extra am Postamt aufladen muss, werde ich kaum zu Hause anrufen. Ich freue mich aber sehr wenn ich angerufen werde! Mit der Telekom Austria kostet das, so viel ich weiss, 5 Schilling die Minute. Wenn es in Oesterreich 14:30 ist, gehe ich meistens ins Bett. Am ehesten bin ich von 13:30 bis 14:30 erreichbar. (Der Grund? Siehe Mitteilung Nr. 6!)
Besonders wuerde ich mich ueber Besuch aus Oesterreich freuen! Besucher sind jederzeit willkommen und werden abgeholt und beherbergt. Ferien habe ich in der letzten Jaennerwoche und im Februar. Da moechte ich vielleicht ein bisschen in China herumfahren und wahrscheinlich auch kurz nach Hause kommen. Moechte jemand mitfahren?


Nachdem sich hier bei uns langsam Routine einstellt, wird es in Zukunft nicht mehr so viel zu berichten geben. Vieles, das uns vor Kurzem noch exotisch schien, ist uns schon vertraut. Chinesische Verhaltensweisen haben mich anfangs oft staunen lassen. Mittlerweile habe ich mich nicht nur daran gewoehnt, sondern sie oft auch schaetzen gelernt. Unsere chinesischen Freunde legen meist eine liebenswerte, unbeschwerte Vergnuegtheit an den Tag, sind so zuvorkommend und bescheiden, dass man als Europaer oft beschaemt ist. Ich glaube, von den Chinesen kann man viel lernen. Aber, das kommt vielleicht in der Vierzehnten Mitteilung. Bis dahin! Viele Gruesse aus China,

Euer Stefan


_________________
Stefan Kahl

Foreign Affairs Office
Qiqihar University
Wenhua Dajie 30
Culture Street No. 30
Qiqihar, China

Tel.: 0086/452/2787109
e-mail: skahl@mail.zserv.tuwien.ac.at
http://www.sozialdienst.at

(Das dritte Schwein hat gelogen.)

 

 

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