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25. bis 34. Mitteilung aus China

Seit Stefans legendärem ersten Bericht aus Qiqihar am 13. November 2000 sind schon viele Mitteilungen versendet worden. Lest hier die mit netten, anklickbaren Bildern versehene Version davon.

25. Mitteilung

Welche Neuigkeiten aus Meteorologie, Botanik sowie Zoologie behandelt.

Der Frühling in Qiqihar hat es schwerer als anderswo, aber sein Sieg über den Winter ist glorreich. Erst nach wochenlangem Tauwetter zerrinnen die letzten Eisschollen im Stadtteich und versenken die darauf abgelagerten Plastiksäcke vieler Monate.

Im Frühling fällt erst auf, wie viele Bäume es in Qiqihar gibt. Sie sind alle gepflanzt worden, manchmal bis zu acht Baumreihen pro Allee. Was es in Wien nur auf der Ringstraße gibt, ist hier nicht außergewöhnlich. Und es werden immer noch Bäume gepflanzt, wahrscheinlich Hunderte jeden Frühling. Auch werden Betonkisten sorgfältig mit Stiefmütterchen, Tagetes und Petunien bestückt und regelmäßig amtlich bewässert. Ein von mir erstandener Bambus wächst an guten Tagen tatsächlich drei Zentimeter auf einmal, obwohl er sich als Zimmerpflanze eigentlich Zeit lassen könnte.

Auf den Straßen kommt der Speiseeisverkauf in Schwung. Um weniger als zwei Schilling kann man ausgezeichnetes Eis bekommen, in einer Auswahl, die es in ganz Österreich nicht gibt. Auch Getränke werden meist tiefgefroren verkauft. Zum Trinkgenuß muß man sich nicht sehr lange gedulden. Und wenn das Restaurant gegenüber einmal die Musik abstellt, kann ich sogar das Fenster aufmachen und die Frühlingsluft genießen.

Viele Menschen beginnen wieder zu arbeiten, oder zumindest, Arbeit zu suchen. Einige Fabriken, die wegen der Kälte stillgelegt werden mussten, sperren wieder auf. Und was in Wien als "Sommer-Baustellenchaos" bezeichnet wird, findet auch in Qiqihar statt, ist jedoch schwierig zu beschreiben, da die Superlative der deutschen Sprache schon von den Wiener Autofahrerclubs verbraucht worden sind. Jedenfalls handelt es sich nicht um die bloße Verlegung einiger neuer Kabel und Rohre.

Mir fällt plötzlich auf, dass mein Fahrrad eigentlich unmöglich zu bedienen ist. Ich verkaufe es und bekomme von einer Studentin als Dauerleihgabe eines, das so alt ist wie ich, außerdem groß, bequem und überaus formschön. Sie meint, es sei so hässlich, dass sie sich damit nicht sehen lassen könne. Dass ich jetzt mit so einem Rad fahre wird ringsum belächelt.

Das Frühlingswetter nutze ich für ein paar Radausflüge. Einmal entdecke ich eine kleine Nebenbahn, komplett mit Dampflok und Lokführer. Der Lokführer bemüht sich redlich, mit mir zu plaudern, die Dampflok ist ihm aber etwas peinlich. Ob es in Österreich überhaupt noch Dampfloks gäbe, möchte er wissen. Für ein Foto fährt er sogar ein paar Meter, aber mitfahren lässt er mich nicht.

Ein anderes Mal fahren wir mit zwei Studenten nach Zhalong, in das Kranichreservat. Auch die Sehenswürdigkeiten sind in China organisiert: Es gibt Stufe eins – Sehenswürdigkeiten, also nationale, und Stufe zwei – Sehenswürdigkeiten, die provinziellen. Zhalong ist - wie die große Mauer – auf Stufe eins. Dies liegt jedoch lediglich daran, dass Kraniche in China besonders verehrt werden. Sie sind auch wirklich schön anzusehen. Einer peckt mich mit seinem 30cm-Schnabel in den Schuh.

26. Mitteilung

In der wir die Bekanntschaft mit einer Österreicherin aus Sibirien machen.

Seit den Semesterferien ist der Unterricht viel leichter. Nach einem Einkauf im Wiener "British Bookshop" verwende ich in allen Klassen ausgezeichnete Bücher. Dass Bücher bunt, Texte interessant, und Tonbandaufnahmen witzig sein können, ist den Schülern neu. Trotzdem ist es nicht immer einfach.

Die Schüler sind nicht daran gewohnt, selbständig zu arbeiten. Oft bekommen sie Diktate, neu gelernte Wörter werden ein paar Dutzend mal geschrieben. Statt selber Texte zu verfassen, werden manchmal welche abgeschrieben. Die sind schließlich besser, als wenn man sie selber schreiben würde, und auch leichter zu korrigieren. Die normalerweise verwendeten Bücher sind prinzipiell viel zu schwer. Wissenschaftliches Vokabular wird oft beigebracht, noch bevor die Schüler einfache Sätze sagen können. "Wenn wir Bücher verwenden, die viel zu schwer sind", sagte ein Schüler, "dann müssten wir doch schneller Fortschritte machen?"

Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, dass viele Englischstudenten einfach nicht Englisch sprechen können. Vielmehr ist es erstaunlich, dass wiederum andere fließend sprechen. Man fragt sich, wo sie das gelernt haben. Wenn diese Studenten auch noch gute Lehrer und Unterrichtsmaterial hätten, was sie dann wohl alles könnten?

Manche Schüler sind deprimiert, dass in meinen Büchern wieder sehr einfache Sachen behandelt werden. Manche haben keine Lust, kreativ zu werden, und manche haben in meinen Klassen noch immer kein Wort gesagt. Andere wieder bringen jede Woche Freunde mit, wobei ich mir allerdings nicht sicher bin, ob dann der Englischunterricht oder meine lange Nase genossen wird.

Um dem Bedarf an ausländischen Lehrern gerecht zu werden, unterrichtet seit einigen Wochen auch eine gut englisch sprechende Russin. Dabei wurde sie allerdings gebeten, sich als Österreicherin auszugeben.

27. Mitteilung

In welcher der Verfasser für gefährlich gehalten wird.

"Stefan", sagte Herr Guo, "Ich habe gehört, du möchtest Falun Gong machen."

Ich war von den Socken. Dies war eine ernste Sache. Die Angst vor Falun Gong sitzt der Pekinger Regierung tief in den Knochen. Regelmäßig erhalten die Studenten Anti-Falun Gong – Vorlesungen verpasst. Zwei wurden einmal aus einer Klasse heraus verhaftet. Man vermutete, sie hatten Falun Gong ausgeübt. "Wir hassen Falun Gong", sagen Chinesen manchmal sicherheitshalber, wenn die Rede darauf kommt.

"Stimmt das?" Herrn Guos Stirn runzelte sich bedenklich.

Langsam wurde mir klar, wie es dazu gekommen war. In einer Klasse hatte ich einmal den Begriff "Glaube" erklärt. "Was man in der Kirche tut", sagte ich. Verständnislose Gesichter. "So wie Buddhismus, Taoismus oder Christentum" erklärte ich. Verstand keiner. "So wie Falun Gong." Jetzt war alles klar.

Jedoch hatte ein Student außer Falun Gong offensichtlich sonst nichts verstanden. Dies reichte zur Denunzierung, die bis zum Vizedekan und von dort zu Herrn Guo kam.

Auch Knut wird verdächtigt. Taiji, das oft ungenau als Schattenboxen bezeichnet wird, ist sehr populär. Allenorten sieht man Menschen daran üben. Auch Knut versuchts: Ob es sich dabei etwa um Falun Gong handelt, wird er gefragt?

"Anscheinend haben die Chinesen keine Ahnung, was Taiji ist", erklärt Knut.

 

28. Mitteilung

In welcher günstige Winde die Reputation der Auslandsdiener wieder verbessern.

Wie schon einmal thematisiert, gehört Rülpsen in China zum absolut guten Ton. Als interessantes Detail am Rande sei ergänzt, dass es auf Chinesisch für "Rülpsen" und "Schluckauf" nur ein Wort gibt. Dies den Schülern zu erklären ist besonders schwierig, da auch nach Demonstration der Unterschied oft nicht verstanden wird.

Der Verfasser dagegen ist da nicht so langsam von Begriff und wurde schon mehrmals von chinesischer (!) Seite für seine Rülpser gelobt, bis ihn schließlich zwei Studentinnen (!) baten, sie doch in die Geheimnisse des Rülpsens einzuweihen. Nach dem Vorbild der Chinesisch-Hörübungskassetten der Pekinger Sprachen- und Kulturuniversität erstellte ich sonach eine Rülpshörübungskassette mit selbstgesprochenen chinesischen Anweisungen. Andreas komponierte am Computer passende "Jingles", wie der Fachmann sagt.

Eines Tages traf ich nach Unterrichtsschluss eine chinesische Kollegin am Unicampus. Sie habe von dem Band gehört, sagte sie. "Jetzt", dachte ich, "ist es aus: Erst Falun Gong und dann das. Am besten, ich packe meine Koffer."

"Darf ich’s auch einmal hören?" fragte, nein, bat sie, und meinte es ernst.

29. Mitteilung

In der sich Qiqihar erst kosmopolitisch entwickelt und es daraufhin bei helllichtem Tag stockdunkel wird.

Nicht lange nach Beginn des Sommersemesters bekommen wir Zuwachs im Ausländerwohnheim: Erst kommt Yayoi aus Japan. Sie hat in der Redaktion von Asahi Shinbun, einer Tokioter Zeitung, ein Jahr frei bekommen, um Chinesisch zu studieren. Man habe ihr erzählt, sagt sie, Qiqihar sei fast so groß wie Tokio. Ob man ihr vielleicht Downtown zeigen könne?

Die Differenz zwischen Phantasie und Wirklichkeit trägt sie gelassen. In unserer Kantine macht sie sich beliebt, indem sie sofort Tee nachschenkt, wenn man einmal an der Tasse genippt hat. Wenn man einmal ihr nachschenkt, wird sie anfangs fast böse. In Japan sei das Frauenarbeit, sagt sie.

Die Geschichte Japans in der Mandschurei belastet sie nicht sehr: Bei einer der üblichen, formellen Tischreden erwähnte sie, wie nett es schon ihr Großvater in der Mandschurei gefunden hatte. Dies stößt chinesischerseits eher auf versteinerte Mienen.

Etwas später reist Morten, ein Student aus Dänemark, mit der transsibirischen Eisenbahn an. Man merkt gleich, er ist Eisenbahnfreund und als solcher natürlich ein besonders netter Kerl. Öfters bringt er mich mit detaillierten Fragen zu österreichischen Nebenbahnen in Verlegenheit.

Warum er nach Qiqihar gekommen ist? An seiner Uni in Dänemark hatte er einen Studienkollegen aus Qiqihar, der hier Schuldirektor ist und möchte, dass er Englisch unterrichtet. Langsam stellt sich jedoch heraus, dass der wirkliche Grund eine Art Verfolgungswahn ist. In Dänemark fühlt er sich von einem Studienkollegen bedroht. In Qiqihar trainiert er Kickboxen, um nach der Rückkehr fit zu sein. Sein Unterhaltungswert ist enorm: Nonchalant lässt er sämtliche chinesische Höflichkeitsregeln außer acht und verwandelt durch mangelhafte Stäbchenkoordination jeden Tisch in ein Schlachtfeld. Durch eine spezielle Schlucktechnik, die ganz ohne Schlucken auskommt, leert er jedes Glas in weniger als einer Sekunde. Außerdem liefert er verdienstvolle Beiträge zu jener soeben erwähnten Tonbandaufzeichnung.

Anfang April kommt meine Kusine Daisy mit ihrem Freund Marc auf Besuch. Am Tag ihrer Ankunft ist ein besonderes Naturphänomen zu beobachten. Am Vormittag, als normalerweise die Sonne hoch am Himmel stehen sollte, ist es finsterste Nacht. Der Grund ist nicht etwa eine Sonnenfinsternis, sondern ein Sandsturm, der sich zum Glück nicht so sehr am Boden, sondern in großer Höhe zuträgt. Als wieder Licht durchzudringen beginnt, wird Qiqihar in gespenstisches rotes Licht getaucht.

ZhalantunDieses Wetter nutzen wir, um mit dem Zug nach Zhalantun zu fahren, eine Stadt jenseits der Provinzgrenze in der inneren Mongolei. Die Gegend ist hügelig und von einer rauen Schönheit. Auch hier ist das Licht nur fahlgelb. Man hat offensichtlich noch nie zuvor Ausländer gesehen. Manche Leute brechen in vergnügtes Lachen aus, als sie uns erblicken. "Die könnten sich eigentlich schon ein bisserl zsammreissen" meint Daisy.

Zurück in Qiqihar sprechen sie in einer meiner Klassen über ihre Heimatstadt Paris, komplett mit Parfumproben und Eiffelturmbausatz. Danach bekomme ich in den anderen Klassen Vorwürfe.

Im Juni schließlich kommt Herr Stähli auf Besuch. Herr Stähli kommt aus der Schweiz, ist Mitglied eines Jesuitenordens, 64 Jahre alt, und bringt uns Auslandsdienern Schokolade und kleine Schweizermesser mit. Nach 30 Jahren auf Taiwan spricht er perfekt chinesisch. Sein Schweizer Orden hat ihn auf Spurensuche nach Qiqihar geschickt: Ob er noch Überbleibsel der 1949 vertriebenen Ordensbrüder finden könne? Mit den Landkarten von heute kommt er allerdings nicht weit. Die meisten Dörfer tragen heute andere Namen, und die Straßen von damals gibt es auch nicht mehr. Den Pfarrer von Qiqihar trifft er nicht mehr an, da dieser seit 50 Tagen in Untersuchungshaft sitzt. In einem Ort unweit Qiqihar sieht er eine neue Kirche und trifft einige Mädchen, die Nonnen werden wollen. Ob sie der patriotischen oder der Untergrundkirche angehörten, fragt er sie, was sie aber nicht beantworten wollen. Fotografieren lassen wollen sie sich auch nicht.

 

30. Mitteilung

In welcher sich der Aufgabenbereich der Auslandsdiener um den 400m-Staffellauf erweitert.

Man sah Herrn Guo an, dass er es ernst meinte: "Jetzt im Gleichschritt. Links, zwo, drei vier! Nicht lachen! Alle gemeinsam! Bei den olympischen Spielen geht das auch!"

In brütender Sonntags-Mittagshitze kommandierte er sein Ausländerregiment. Am Tag darauf sollte das Universitätssportfest stattfinden. Dieses hatte im Vorfeld die unterschiedlichsten Erwartungen geweckt, wie etwa "Eine glorreiche Demonstration der Exzellenz unserer Universität!" (offizielle Angaben) oder auch "Wir hassen es." (Klasse 2000-7, inoffiziell). Die Befürchtungen des Verfassers näherten sich während der Marschübungen rasch denen der Klasse 7.

Am Montag fand ich mich zu ungewöhnlich früher Zeit uniformiert vor dem Stadion, wo schon jede Abteilung der Universität ihr Bataillon aufgestellt hatte. Und selbst der kritischste Chinabesucher muss eingestehen: Organisieren gehört neben Essen und Rülpsen zu den größten Fähigkeiten, und, wie man Herrn Guo ansah, Vergnüglichkeiten dieses Landes. Und so spazierten etwa 30 Russen, zehn Koreaner, vier Österreicher, ein Däne und ein Amerikaner gemütlich zwischen zwei stramm marschierenden chinesischen Trupps über die Laufbahn. Herr Guo hatte auch übersehen, dass Marschieren im Zivildienstvertrag nicht vorgesehen ist.

Das Sportfest der Universität Qiqihar ist vielleicht das uninteressanteste des Landes. Trotzdem wird es auf einem Maßstab veranstaltet, der "Peking 2008" erahnen lässt. Eine Tanzgruppe nach der anderen marschierte auf, 800 Studenten praktizierten synchron Taiji. Ein guter Teil der Damenwelt schien Qiqihar mit Ascot zu verwechseln. Das Motto "dabei sein ist alles" wurde sogar noch erweitert und lautete offensichtlich "Wer dabei ist, ist egal". Die Veranstalter hatten den Ehrgeiz, genauso viel Frauen wie Männer antreten zu lassen. Beim Hürdenlauf der Damen gab es die ersten Verletzungen. Bei den Laufbewerben torkelten die zierlichsten Mädchen durch den Backofen, der das Stadion mittlerweile war, oder brachen zusammen. Statt mit einer Trage herangelaufen zu kommen, wurde hier das Problem durch Zureden oder Herzeigen eines kleinen Kartons mit rotem Kreuz gelöst.

Herr Guo jedoch wollte auch seine Ausländer laufen sehen. Diesen fehlte es durchaus nicht an Sportsgeist: Knut und Andreas liefen in mehreren Bewerben, John sprang bis er sich was verstauchte, Morten nahm den 10 km-Lauf zumindest in Angriff, und ein Koreaner beeindruckte mit einem Bauchfleck während des 200m-Laufes. Durch jahrelange Erfahrungen mit Mödlinger Schulsportfesten gelang es mir jedoch, mich zu drücken. Unauffällig plante ich meine Entfernung.

Kurze Zeit später fand ich mich an der Startlinie eines 400m-Staffellaufes. John, der eine Biographie als Spitzensportler an seiner kalifornischen High School hinter sich hat, wollte von mir wissen "You want a looking pass?" Wie so ein Staffelholz aussieht, wusste ich auch nicht ganz genau. Ich ahnte das Schlimmste.

"Bedauerlicherweise", sprach Lehrer Wang von unterhalb seiner Peking 2008-Schirmkappe, "ist für euch keine Startbahn frei."

Noch zwei Wochen später würde ich auf die Frage "Warum hast denn DU nicht mitgemacht?" traurig seufzen und sagen "Ich wollte ja! Man ließ mich nicht!".

31. Mitteilung

In welcher eine Reise ins Salzkammergut Heilongjiangs unternommen wird.

Im Winter hatte Herr Guo es schon öfters erwähnt: Wenn es warm würde, hatte er gesagt, würde er mit uns ein bisschen in der Provinz herumreisen. Aus zweierlei Gründen hatte ich das nicht ganz ernst genommen. Zum einen schien es unglaublich, dass es jemals warm werden könnte, zum anderen hatte sich dies angehört wie eine typische chinesische Konversationstechnik: "jia ke qi", was soviel bedeutet, wie nur aus Gründen der Höflichkeit vorgebrachte Höflichkeiten.

Weit gefehlt. An einem Samstagmorgen saßen wir Österreicher, Morten, John, Lehrer Wang und Herr Guo in einem Regionalzug Richtung Wudalianchi, der fünf großen verbundenen Teiche. Diese weitere der 44 nationalen Sehenswürdigkeiten liegt etwa 300 km nordöstlich von Qiqihar. Dort angekommen, wurden wir erst in einen Kleinbus mit weißem Nummernschild bugsiert und anschließend zur Einnahme großer Mengen Alkoholika veranlasst, wozu Herr Guo die Hilfe einiger örtlich ansässiger Freunde erbeten hatte. Sogar Lehrer Wangs Wiener Schmäh begann schon schwerfälliger zu werden und Herr Guo selbst trug die Symptome seiner Alkoholallergie aus diesem ersten mittäglichen Scharmützel davon.

Das Besuchsprogramm ließ sich nicht lumpen. Nicht nur wurden die fünf großen verbundenen Teiche angefunden, sondern auch mehrere Vulkane. Einen dieser Vulkane erkletterten wir, und obwohl dieser erst weniger als 300 Jahre zuvor ausgebrochen war, schienen die Lavaströme und riesigen Basaltflächen wie gerade erst erstarrt. Die kurze jährliche Vegetationsperiode macht die Eroberung dieser urzeitlichen Landschaft offensichtlich besonders schwierig. Der Blick vom Kraterrand auf die umliegende saftig grüne Ebene mit ihren Vulkanknöpfen und Seen war sensationell, aber nur von kurzer Dauer, da das darauffolgende Mittagessen pünktlich eingenommen werden musste. Es dauerte aber auch recht lange, bis einer der Fischer am malerischen Seeufer einen Fisch vorweisen konnte, der den Ansprüchen der Herren Guo und Wang genügte. "Fische dieser Sorte schmecken umso besser, je größer sie sind" erklärte Lehrer Wang kategorisch.

Weiters wurden ein Kloster, zwei Mineralquellen, sowie drei Eishöhlen besucht. Das weiße Nummernschild, das sonst nur Polizei, Militär und Regierung vorbehalten ist, machte an Mautstellen entlang der Straße nicht einmal lässiges Winken nötig.

Montag früh sah man die Ausländer glücklich, wenn auch benebelt zurückkehren und sich auf eine vergleichsweise erholsame Arbeitswoche freuen.

 

32. Mitteilung

In welcher lediglich ein gutes österreichisches Restaurant empfohlen wird.

Um den ersten Mai bekamen wir eine Woche frei. Die chinesische Regierung hatte den 2.-5. Mai zu Feiertagen erklärt, um den Konsum anzukurbeln. Mich pflichtbewusst an diese Vorgabe haltend, erstand ich eine Fahrkarte nach Shanghai, wo ich nach 40-stündiger Zugfahrt ankam und meinen Vater sowie unseren Freund Robert traf. Im für mich ungewohnten Luxus der Weichsitzklasse machten wir einen Ausflug ins nahe Hangzhou, das am Ufer des berühmtesten Sees Chinas, des Xi Hu, liegt.

Der Höhepunkt wurde aber erreicht, als uns die österreichische Konsulin, welche dem Leser noch aus Mitteilung Nr. 24 vorteilhaft in Erinnerung ist, in ein Restaurant mit österreichischem Koch einlud. Dieser nämlich bereitete ausgezeichneten Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster zu. Wer mit der Kaiserschmarrnproblematik in Österreich vertraut ist (exzessiver Einsatz von Eipulver, aus dem Teig hervorstehende und daher verbrannte Rosinen, Zwetschgenröster zu süß) sollte einmal nach Shanghai fahren.

 

33. Mitteilung

In welcher erläutert wird, dass chinesische Studenten eigentlich nichts zu lachen haben.

Während der Reise nach Shanghai traf ich im Zug ein bekanntes Gesicht. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um Gao Ge, eine recht lustige und nette Universitätsbedienstete. Als KP-Mitglied ist sie für die Disziplin der Studenten zuständig. Bei diversen Verstößen ist’s aber bald Schluss mit lustig. Das Leben der Studenten ist militärisch organisiert. Oft muß um 6 Uhr zum Morgensport angetreten werden. Täglich werden die Zimmer kontrolliert, und wer öfters einmal nicht alle Falten aus dem mit Zirkel und Lineal gemachten Bett herausstreicht, bekommt es mit Gao Ge zu tun. Alles hat eben seinen Preis, z.B. Mittagessen in der Mensa: umgerechnet 10 Schilling. Wechsel der Studienrichtung: etwa 70.000 Schilling. Auch Prüfungsfragen sind zu haben (Preis auf Anfrage).

Einige Schüler haben es besonders schwer. Der Vater einer Schülerin beispielsweise gelangte zu nah an eine zu Boden hängende Hochspannungsleitung mit 66.000 Volt. Dabei verlor er einen Arm, ein Bein und einen Fuß. Geld kann er keines mehr verdienen, und Versicherungen sind ohnehin unüblich. Trotzdem besteht die Hermann Gmeiner Schule Qiqihar darauf: Entweder sie bezahlt 16.000 Schilling Schulgebühr, oder sie bekommt kein Zeugnis.

Die für Englischstudenten schwierigsten Prüfungen haben mit Englisch eigentlich nicht viel zu tun: Im ersten Jahr wird Deng Xiao Ping studiert, im zweiten Ka Er Ma Ke Si, besser bekannt als Karl Marx, im dritten Mao Ze Dong, und im vierten wieder Ma Ke Si. Meine Konversationsenglischstunden sind so gesehen ein Nebenfach.

 

34. Mitteilung

Bei der es sich weniger um eine Mitteilung, als vielmehr um eine Vorankündigung handelt.

Wieder musste ich im Prüfungskalender der Studenten zwischen Deng Xiao Ping und Kalligraphie Prüfungen ansetzen, nach 183 mündlichen Befragungen ebenso viele Noten vergeben, und wieder neigt sich ein Semester dem Ende zu. In einigen Tagen kommt mein Wiener Studienkollege Wolfgang Rupp gemeinsam mit jenem schon aus Mitteilung Nr. 4 bekannten Josef Goldberger zu Besuch. Wie dem aufmerksamen Leser ebenfalls schon vertraut sein sollte, verläuft die transsibirische Eisenbahn etwa 30 km südlich von Qiqihar durch ein Dorf namens Ang’angxi. Laut Fahrplan müsste es daher möglich sein, die Strecke Ang’angxi – Wien Südbahnhof (Ostseite) mit nur einem Mal Umsteigen zurückzulegen, was auch der Kollege aus Dänemark bestätigt.

Anders gesagt, möge man sich auf Mitteilung Nr. 35 vorbereiten, in welcher weitere Details dieser Relation erörtert werden sollen.

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Stefan Kahl

Foreign Affairs Office
Qiqihar University
Wenhua Dajie 30
Culture Street No. 30
Qiqihar, China

Tel.: 0086/452/2787109
e-mail: skahl@mail.zserv.tuwien.ac.at
http://www.sozialdienst.at

 

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